Life Letter No. 9

D. und die Mauer im Kopf

Zur Aufstellung kam ein Mann, nennen wir ihn D. Älter, aber noch nicht alt, grauhaarig, mit einem Problem: „Ich kann meinen Kopf nicht nach rechts drehen.“ Gleichzeitig war er sicher, dass da rechts, rechts hinten, etwas ganz Wichtiges war, das er aber nicht sehen konnte, weil sein Nacken die Drehung nicht zuließ.

In der Aufstellung gab es Stellvertreter für sein Problem, für ihn selbst, für seine Eltern und für sein Ziel, den souveränen Blick auf alles. Anfangs ging es erstaunlich schnell. Rechts, da hinten, da, wo D. sein Problem sah, da war nichts, sagte der Stellvertreter des Problems. Nichts, rechts so wenig wie links. Der Maler René Magritte zeichnete einmal eine Mauer und schrieb dazu: „Manches Objekt suggeriert uns, dass hinter ihm noch andere existieren“(aus: La Révolution surréaliste, 1929). Nur weil da eine Mauer ist, muss sie nichts verbergen. Es ist lediglich meine metaphysische Angst, dass da etwas sein könnte.   

Es stellte sich im Verlauf der Aufstellung heraus, dass nicht rechts und links das Problem von D. war, sondern vorne und hinten. Der Blick von D. ging zwar nach vorne, was er jedoch vor sich sah, war seine Vergangenheit, seine Kindheit. Er war völlig fixiert darauf. Seine Zukunft schien von vornherein vergangen und entschieden zu sein. Es brauchte Zeit, aber schließlich erreichte D. sein Ziel, den souveränen Blick auf alles. Sein neues Motto: Augen auf und durch.

Erst lange nach der Aufstellung fiel mir auf, dass das Schicksal von D. nicht nur ihn betraf, sondern ein ganzes Land.

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Life Letter No. 8