Life Letter No. 6
Wie komme ich da hin, zum Gipfel der Liebe?
Der deutsche Schlager, das Herzkino der Rosamunde Pilcher, aber auch die Sonette von William Shakespeare – sie alle leben von der Liebe. Von der Vorstellung, dass da zwei sind, die zusammen gehören und eins sein wollen, auf ewig. Oder wenigstens bis Sendeschluss. Das Schwierigste an der Liebe ist, sich einzugestehen, dass wir am Ende des Tages auch zu zweit alleine sind. Bei aller Nähe - jeder schläft für sich ein.
Der Dichter Friedrich Hölderlin beschreibt das mit der Liebe kurz so: „Treuesten Sinns hinüberzugehen und wiederzukehren.“ Zugegeben, nicht leicht zu verstehen. Die Liebenden – so verstehe ich es – sind wie zwei Gipfel. Ich mache mich auf den Weg, zum anderen „hinüberzugehen“, und das „treuesten Sinns“. Heißt, wenn ich den anderen erreicht habe, am äußersten Punkt, schwinge ich wie ein Pendel wieder zurück, um „wiederzukehren“, zurückzukehren zu meinem Gipfel, in mein Haus, zu mir. Die Nähe, das Zusammensein ist ein kurzes Glück.
Immer ist die Versuchung da, zu glauben, ich könnte es doch schaffen, eins zu werden mit dem anderen und es auch zu bleiben. „Treusten Sinns“ aber bin nur, wenn ich weiß, dass ich den anderen besuche. Liebe ist ein Besuch und kein Umzug. Jeden Tag neu braucht es den Mut, die Zuversicht, die Liebe, um hinüberzugehen. Jeder Besuch, jede Berührung ist kostbar. Ein Geschenk. Ein Wunder. Danach kehre ich wieder zu mir zurück. In den Teil, den ich nur mit mir verbringe. In mein Ich, zu meiner Quelle.